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Malpinsel streicht ein Kind den roten Gartenzwerg in leuchtendem Weiß, umgedeu-  Die Einzelbilder vereinen unterschiedliche, zeitliche Einzelmomente sowie eine
           tet als Waffe wird der Pinsel dem Hund ins Auge gestochen; sodann wird dem Ted-  Vielzahl an Ausschnitten des Motivs, die real nicht gleichzeitig erfahrbar sind. So-
           dy in den Hintern getreten. Manches ist lediglich unterschwellig vermittelt, anderes  gar der Künstler selbst, wie Gunnar Schmidt darlegt, „[…] wird das, was das Pan-
           klärt sich sofort auf. Leer- und Bruchstellen sind eingefügt, die zum konzentrierten  oramafoto zeigt, nie so gesehen haben.“  Es entsteht eine geschaffene Wirklich-
                                                                                                                        16
           Hinschauen und Nachdenken auffordern. Den expliziten Motiven gilt sich zu stellen:  keit, ein inszeniertes Jetzt. Ort und Zeit verbinden sich zu einem surrealen Gefüge.
           sexualisierte Gewalt, Überschreitung der Intimgrenze, Kinderpornographie, Miss-  Die flimmernden Lichter bewirken eine Belebung der jeweiligen Szenerie, die für
           brauch, Quälerei. Das anfängliche Wunschbild des friedlich-kindlichen Spieltriebes  uns als Betrachtende allerdings eine ambivalente Zugänglichkeit schafft. Nicht
           ist pervertiert. Selbst die Märchenwelt wird von der dunklen Seite heimgesucht –  jeder der gezeigten Orte ist für alle öffentlich: Ein Betriebsgelände reguliert den
           wie steht es dann um die reale Welt? In den Werken finden anspruchsvolle Aus-  Zutritt; von einem Kraftwerk geht Lebensgefahr aus; eine Justizvollzugsanstalt
           einandersetzungen mit dem Unbequemen und Unangenehmen statt, ganz ohne  ist mit hohen Sicherheitsvorkehrungen von der Außenwelt abgeschottet – eigene
           Fingerzeig.                                                              kleine Welten, die ganz real parallel stattfinden. In ihrer vollen Ausdehnung sind
                                                                                    die Fotografien aus der Distanz erfassbar. Wie körperlich das Sehen werden kann,                                                                                                      1  Gespräch mit dem Künstler am 28.09.2023.
           Das stete Wiederholen, die Motive schablonenhaft neu zusammenzusetzen und  zeigt sich bei einem 2008 realisierten Projekt im öffentlichen Raum: Die 240 Meter                                                                                                  2  Der Zusatz ‚es‘ ist eine Eigenart des saarländischen Dialekts und kann bei weiblichen Personen dem Namen
           den Bildgrund mit flächigen Farben zu besetzen, lässt sich als künstlerisches Spiel  lange, durch Treppenaufgänge in acht Segmente geteilte Wandarbeit an der Kai-                                                                                               zugegeben werden. Folmer ist im Saarland geboren und aufgewachsen.
           des Austestens und Annäherns beschreiben. Die Einzelwerke mit jeweils eigenen  mauer des Kraftwerks in Walheim ist Wolfgang Folmers monumentalstes Werk.                                                                                                       3  Aktuell ist der Teddybär auch ein wesentliches Motiv der 2023 entstanden Kohlezeichnungen während
           Charakteristiken können für sich selbst stehen. In ihrer seriellen Gesamtheit sind  Die vollständige Dimension dieser riesigen Zeichnung ist nur vom Weinberg gegen-                                                                                             Wolfgang Folmers Artist in Residence-Aufenthalts in Bergen (Norwegen). Die für die Dauer der Ausstellung
                                                                                                                                                                                                                                                                            geschaffenen Wandzeichnungen im Kunstmuseum Reutlingen | Galerie sind an diese Kohlezeichnungen an-
           alle Vektorgrafiken durch ihre formale und kompositorische Ähnlichkeit einander  über ersichtlich, ein annähernder Nahblick nur vom Wasser aus. Gemalte Flächen                                                                                                  gelehnt.
           zugehörig und partizipieren am selben Thema.  In verschiedener Präsentations-  und Linien gehen in monochromes Schwarz-Weiß über, ganz in Folmers damaliger                                                                                                    4  Gunnar Schmidt: „Wirklichkeitsunruhe“, in: lichterloh. 1988–2022. Wolfgang Folmer, Ausst. Kat. Galerie Palais
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           weise sind die Werke formal, über ein Narrativ oder ohne vorgegeben Leitlinie re-  künstlerischer Handschrift. Mit einer digitalen Vorarbeit und einem Modell setzte                                                                                             Walderdorff, Dortmund: Verlag Kettler, 2022, S. 15–19, hier S. 17.
           zipierbar. Mit ihren durch Umrisslinien begrenzten Körpern, gefüllt in den mono-  der Künstler das Wandbild in situ um. Für die Panoramafotografien ist der Vorgang                                                                                            5  Vgl. zur Vielfalt der Linie, auch in verschiedenen Disziplinen wie Kunst, Kultur, Philosophie, Mathematik,
           chrom flächigen Farben Weiß, Rosa und Rot, wird die jeweilige Eigenständigkeit  umgedreht, denn er fertigt erst Vor-Ort die Einzelbilder an, die er anschließend di-                                                                                             Anthropologie u.a.: Sabine Mainberger und Esther Ramharter (Hg.): Linienwissen und Liniendenken, Berlin
                                                                                                                                                                                                                                                                            und Boston: De Gruyter, 2017.
           und Abgrenzung voneinander unterstrichen. Die Überlagerung von Farbflächen be-  gital zusammensetzt. So wie Folmer das Panorama aus Einzelteilen vereint, führt                                                                                                6  Wolfgang Folmer: Lü, „atelier da giast“ in Sta. Maria Val Müstair (Schweiz), Video, 13:14 Min, 2022, hier TC:
           tont wiederum eine innerbildliche Verdichtung – es entsteht eine dynamisches Hin  die nähere Betrachtung der finalen Fotografie wiederum dazu, sich einzelnen De-                                                           Fußnote 6:                           0:18–0:34. Vgl. Abb. S. X-X zu den Videoarbeiten, die in der Schweiz entstanden sind.
           und Her in der formalen Komposition, das im inhaltlichen Zwiespalt zwischen der  tails zuzuwenden, die durch das innerbildliche Leuchten hervortreten. Es entsteht                                                                                             7  Gespräch mit dem Künstler am 28.09.2023.
           unbequemen und beschönigten Welt widergespiegelt wird.                   eine beobachtende, ja fast schon voyeuristische Position, die selbst bei den weit-                                                                 Abb. S. X-X                        8  Wolfgang Folmer: „Nodalpunkt“, in: lichterloh. 1988–2022. Wolfgang Folmer, Ausst. Kat. Galerie Palais Wald-
                                                                                    läufigen Stadtansichten mitschwingt. 17                                                                                                                                                 erdorff, Dortmund: Verlag Kettler, 2022, S. 74–77, hier S. 76.
                                                                                                                                                                                                                                                                          9  Zur Arbeit im Freien und einer späteren Sichtung im Atelier erklärt Folmer: Die Zeichnungen „haben eine
           So fern, so nah: Panoramafotografien                                     Der starke Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit führt in den Kompositionen                                                                                                            ganze andere Kraft und Lichtwirkung“. Wolfgang Folmer: Lü, „atelier da giast“ in Sta. Maria Val Müstair
                                                                                                                                                                                                                                                                            (Schweiz), Video, 13:14 Min, 2022, TC: 08:52¬–09:05.
                                                                                    der Panoramafotografien zu abgegrenzten Flächen. Die Beschäftigung Folmers
           Sehen und Sichtbarkeit ist in der Dunkelheit dann eingeschränkt, wenn eine ge-  mit Druckgrafik lässt sich durchaus in den Werken erkennen. In den Panorama-                                                                                                   10  Wolfgang Folmer: Hirtenscheuer. Kunstverein Schwäbisch Hall, Video, 19:32 Min, 2001, TC: 00:00 01:45.
           eignete Lichtquelle fehlt. Künstliches Licht lässt jedoch die von Wolfgang Folmer  fotografien entstehen Linien und Raster, die an die Linienspiele und -muster in                                                                                             11  Bspw. ist Percussion zu hören in Wolfgang Folmer: Umbrail, der Film, „atelier da giast“ in Sta. Maria Val
                                                                                                                                                                                                                                                                            Müstair (Schweiz), Video, 13:42 Min, 2022.
           aufgenommenen Industrieanlagen, Kraftwerke, historischen Prachtbauten oder  Holzschnitten erinnern; fließende, tonale Übergänge entstehen dort, wo sich das
           Justizvollzugsanstalten nachts hell leuchten und zugleich wirken sie, als ob sie aus  künstliche Licht frei ausbreitet und sich im Dunkel verliert. Dies steigert den ma-                                                                                      12  Siehe dazu: Wolfgang Folmer: Walldorf 1–7. Atelierstipendium der Stadt Walldorf, Videos, unterschiedliche
                                                                                                                                                                                                                                                                            Spieldauer, 2022.
           sich selbst heraus strahlten. Der Künstler dokumentiert diese mitunter auch unab-  lerischen Effekt in den Fotografien. Die mitunter intensiven Farbtöne, die weniger                                                                                          13  Wolfgang Folmer hat seit Ende der 1990er-Jahre verschiedene Projekte mit Baumstämmen vor Ort und als
           sichtlich erzeugte Aufmerksamkeit im Dunkel der Nacht fotografisch, und so geben  der Monochromie im Œuvre Folmers entsprechen, trotzen der dunklen Nacht und                                                                                                    performative Arbeiten umgesetzt. Beim Bildhauersymposium in Marbach (2000) experimentierte er mit von
           die 2020 entstandenen Panoramaansichten erstaunlich viele Details und Einzel-  verstärken die Wirkung einer wundersamen Welt.                                                                                                                                    Orkan Lothar zu Fall gebrachten Baumstämmen und entwickelte in weiteren Projekten nach und nach künst-
                                                                                                                                                                                                                                                                            lerische Möglichkeiten mit Baumstämmen als Bildträger und Druckstock. So arbeitete er in Darmstadt (2004)
           heiten preis. (Abb. S. X, X). Die langgezogenen Großformate präsentieren sich als                                                                                                                                                                                an fünf Stämmen gleichzeitig, die ohne gedruckte Abzüge der Motive wieder der Natur überlassen wurden.
           in sich geschlossene Einheiten mit einem aufwändigen Herstellungsprozess. So                                                                                                                                                                                   14  Zur Serie in der Kunst vgl. bspw.: Katharina Sykora: Das Phänomen des Seriellen in der Kunst, zugl. Diss., Uni-
           dauert die Aufnahmezeit vor Ort bis zu drei Stunden. Mit Hilfe einer Stitching-Soft-                                                                                                                                                                             versität Heidelberg, 1982, Würzburg: Königshausen und Neumann, 1983 oder Christine Blättler (Hg.): Kunst
           ware werden anschließend bis zu 150 hochaufgelöste Einzelaufnahmen miteinan-                                                                                                                                                                                     der Serie: die Serie in den Künsten, München und Paderborn: Wilhelm Fink, 2010.
           der verbunden. 15                                                                                                                                                                                                                                              15  Vgl. Wolfgang Folmer: „Nodalpunkt“, in: lichterloh. 1988–2022. Wolfgang Folmer, Ausst. Kat. Galerie Palais
                                                                                                                                                                                                                                                                            Walderdorff, Dortmund: Verlag Kettler, 2022, S. 74–77, hier S. 77.
                                                                                                                                                                                                                                                                          16  Gunnar Schmidt: „Wirklichkeitsunruhe“, in: lichterloh. 1988–2022. Wolfgang Folmer, Ausst. Kat. Galerie Palais
                                                                                                                                                                                                                                                                            Walderdorff, Dortmund: Verlag Kettler, 2022, S. 15–19, hier S. 18.
                                                                                                                                                                                                                                                                          17  Zu Überwachungspraktiken bei Justizvollzugsanstalten sei auf Michel Foucaults Ausführungen verwiesen:
                                                                                                                                                                                                                                                                            Michel Foucault: Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976.



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