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Sind es bruchstückhafte Erinnerungen an vergangene Zeiten? Erzählungen aus der  abgelegenen Berglandschaften der Schweizer Alpen wird durch die überbordende                       In seinen neueren filmischen Arbeiten schafft Wolfgang Folmer mit verschiede-  Mit dem Material Holz hat sich Wolfgang Folmer schon früher auseinandergesetzt,
           Kindheit? Ist die Weißfläche der Raum des Loslassens?                    Präsenz von Tieren in Gestalt von Nagern gestört (Umbrail II, Kohlezeichnungen,                           nen Kameraeinstellungen und dem Durchbrechen der vierten Wand eine intime  genauer gesagt mit ganzen Baumstämmen, die entgegen der industriell gefertig-
                                                                                    2023, Abb. S. X–X).                                                                                       Nähe. Er spricht, erklärt und reflektiert, manchmal mit Percussion unterlegt.  Der  ten Sperrholzplatten noch keine oder nur geringfügige maschinelle Bearbeitung
                                                                                                                                                                                                                                                                 11
                                                                                                                                                                                              körperliche Einsatz und ein koordiniertes Körpergefühl veranschaulichen sich ein-  erfahren haben. Übergroße Formate greift der Künstler auch hier auf, so maß der
           Materialvielfalt: Kohle, Bleistift, Ölkreide,                            Farbig leuchten die Zeichnungen in Bleistift und Farbstift aus den Jahren 2002 und                        drücklich bei seinen Percussion-Aufnahmen, die er sowohl mit einem aufgebauten  längste Stamm 16 Meter. Folmer schälte die Rinde ab, um dann verschiedene Mo-
           Farbstift oder Aquarell                                                  2006 (Abb. S. X–X). Mit der Verwendung von Transparentpapier setzt Wolfgang                               Schlagzeug, als auch nur Fragmenten des Instruments oder alltäglichen Gegen-  tive in den Stamm zu schneiden. Er erstellte Abzüge und hielt den jeweiligen Zu-
                                                                                    Folmer Überlagerungen durch die Schichtung mehrerer Blätter haptisch um. Die                              ständen umsetzt. Selbst ein Klavier oder Sofa kann als Schlaginstrument dienen.  stand auf Papier fest – in stetiger Wiederholung. Aus einem performativen Werk-
           Durch das Œuvre von Wolfgang Folmer zieht sich die gezeichnete Linie. Mit der  Figuren und Gerätschaften erhalten ihre Konturen durch Bleistiftlinien, aber sie                    Folmer nimmt stets feine Justierungen vor, um verschiedene Klänge auszutesten  prozess heraus entstanden später eigenständige Objekte, mit dem Verzicht auf
           Linie stehen unzählige Möglichkeiten offen, sei es ein schneller Entwurf, eine de-  sind schemenhaft, farbige Schatten ihrer selbst. Die Flächigkeit und das Überla-               und miteinfließen zu lassen (Abb. S. X–X). 12                             den obligatorischen Abzug. Folmer überließ sie danach den Wettereinwirkungen;
           taillierte Zeichnung, ein Druck. Eine Linie fixiert erste Eindrücke oder finalisiert ein  gerungsprinzip wird Folmer bei den digital geschaffenen Vektorgrafiken von 2018                                                                                    er gab sie zurück an die Natur. 13
           Werk.  Sie ist die unmittelbare Ausführung und Verbindung zwischen Geist, Auge  wieder aufgreifen – nur umgedreht: mit schwarzem, opakem Hintergrund.
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           und Hand. Zeichnen mutet bei Folmer als ein unermüdlicher Prozess an, ein positiv                                                                                                  Schwarz-Weiß-Kontrast: Holzschnitte                                       Bei den in der Ausstellung gezeigten Holzschnitten knüpft der Künstler an die Mate-
           konnotierter Exzess. Er zeichnet mit Kohle, Bleistift, Farbstift, Kreide oder Aqua-                                                                                                                                                                          rialität des Holzes an: Die sichtbaren Holzmaserungen in der Gestaltung stammen
           rell. In einem Video aus dem Jahr 2022, das während seines Stipendiums in Sta.  Aufgezeichnet: Filmkunst                                                                           Wieviel Fragilität in den Holzschnitten steckt, wird auf den ersten Blick von der  nicht von den Sperrholzplatten selbst; sie sind von ihm künstlerisch und künstlich
           Maria Val Müstair in der Schweiz entstanden ist, dokumentiert er sein Zeichnen und                                                                                                 schwarzen, flächig aufgetragenen Farbe verdeckt. Die fließenden und formgeben-  geschaffen. Er überträgt die Natur in den Innenraum, wo er sie als vom Menschen
           ermöglicht einen ungeahnt persönlichen Einblick. Während des Zeichnens spricht  Seit 1990 entstehen performative und poetische Filme, oftmals mit feststehender                    den weißen Linien fordern dazu auf, ihnen en détail zu folgen (Abb. S. X–X). Bei den  nutzbar gemacht darstellt. So ergänzen Schnittblumen, Tulpen und Pflanzen in
           er über sein Schaffen, über das Voranschreiten, das Versuchen und auch das Schei-  Kamera. Damals drehte Folmer mit einer VHS-Kamera und wandelte Farbfilme in                     farblich umgedrehten Holzschnitten – schwarze Linien auf dem hellen Farbton des  Tontöpfen, Grashalme und Pilze die Szenen, die ihrem natürlichen Wachstums-
           tern.  Der Künstler stellt sich dem leeren Papier und hält die eindrückliche Berg-  Schwarz-Weiß-Bilder um. Seine Videoarbeiten sind Transformationen und Körper-                  Bildträgers Holz (Abb. S. X–X) – verhält sich die Annäherung ganz ähnlich, dennoch  umfeld entrissen wurden. Eine geschaffene Welt changiert zwischen niedlichen
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           landschaft auf nahezu 300 Blättern fest.                                 erfahrungen in Bewegtbildern. Er setzt sich mit konzentrierten Bewegungen sowie                           ist die Seherfahrung und Wahrnehmung der gezeigten Motive anders zu bewerten.  Waldtieren und angeketteten Hunden oder der Ambivalenz eines Fliegenpilzes
                                                                                    der ganzheitlichen Verbindung von zeichnender Hand und Körper auseinander. Sei-                           Die Kontrastunterschiede der jeweils dominierenden dunklen oder hellen Flächen  zwischen Unheil und Glück. Folmer lässt die Hunde zwischen den Stühlen stehen
           Eine Serie von Kohlezeichnungen aus dem Jahr 1999 ist figürlich stark aufgeladen  ne Filme sind inzwischen collagenhafter, temporeicher und künstlerisch humor-                    bestimmen den Gesamteindruck und geben somit unterschiedliche Zugangsvor-  und zugleich auf den Tischen tanzen. Es finden paradoxe Dominoeffekte statt, die
           (Abb. S. X–X). Ein verlebendigter Gartenzwerg scheint die Hauptrolle zu spielen und  voller. Die Sequenzen sind weniger auf eine fortlaufende Erzählung ausgerichtet               aussetzungen vor. Insgesamt gibt es viel zu entdecken: Menschen, Tiere, Wesen,  bei eingehender Bildbetrachtung immer schneller ins Rollen kommen.
           steht im Austausch mit weiteren Wesen. Doch ist es immer derselbe Zwerg oder  und enden mit offenem Ausgang.                                                                       Natur, Möbel, Geschirr und Spielzeug sind über-, unter-, vor- und hintereinander
           sind es verschiedene? Ist es eine Schar oder ein Individuum in Einzelsituationen?                                                                                                  gestapelt; nicht chaotisch, sondern geordnet in den Kompositionen platziert. Die
           Aufmerksamkeit zieht das Hakenkreuz in den Zeichnungen auf sich, das untrenn-  Hirtenscheuer entstand 2001 während eines Atelier- und Ausstellungsprojekts                         unterschiedlichen Texturen im Hintergrund, seien es Tapete, Backstein oder Holz- Digitales Zeichnen: Vektorgrafiken
           bar mit dem Nationalsozialismus und all seinen Gräueltaten verbunden ist. Das Er-  im Kunstverein Schwäbisch Hall: Frontal hängt ein Blatt im Format 128 x 184 cm                  vertäfelung, unterstützen die innere Ordnung der ausschnitthaften Innenräume
           kennungszeichen der NSDAP ist für die Zeichnung aber nicht zur ausschließlichen  an einer Wand. Von links tritt Wolfgang Folmer ins Bild. Sein Blick ist zur Kamera                und begrenzen zugleich die Szenerien als eigene Welt. Wolfgang Folmer fügt ganz  Obwohl die rot leuchtende Farbe schon ein Anzeichen sein sollte, täuscht der erste
           Vorlage geworden, sondern auch die Swastika, ein insbesondere im asiatischen  gerichtet, das Blatt im Rücken, hinter dem er seine Arme verschränkt. Er bewegt                      explizit innerbildliche Rahmungen ein. Durch die strukturierte Bildgestaltung und  Eindruck: Harmlose Objekte wie ein Teddybär, ein Ball, eine schlafende Puppe, ein
           Raum religiöses Symbol für Glück, die abgedruckt in einem indischen Skizzenbuch  sich nach rechts, bleibt kurz stehen und setzt seinen Gang in diese Richtung fort.                die präzise Linienführung des Holzschnitts erhält sich die Distanziertheit. Aufge-  Dackel auf Rollen als Ziehtier, ein Gartenzwerg oder ein Kind mit Steckenpferd sind
           den damit beschenkten Wolfgang Folmer zur Weiterverwendung anregte. Immer  Erst nach einem weiteren Schritt wird der Anfangspunkt einer horizontal gezo-                           brochen wird dieses Zusammenspiel lediglich durch die Interaktion von Tieren,  sorgfältig auf eine sattschwarze Hintergrundfläche gesetzt. Auch ein trommelnder
           wieder greift er zur Inspiration auf Vorlagen zurück, so hat er Malbücher aus den  genen Linie sichtbar, die immer länger wird, je weiter der Künstler zum rechten                 Menschen und Gegenständen innerhalb der Bildgrenzen, die bisweilen dennoch  Hase, ein Motorradfahrer, ein Roller fahrendes Kind, weitere Ziehtiere und Figuren
           1960er-Jahren erstanden, die er selbst noch aus seiner Kindheit kannte und deren  Blatt- und Bildrand rückt. Er hält inne – seine Arme bewegen sich dennoch – und                  über diese hinausgehen. Inhaltlich fordern die Hundeaugen geradezu auf, den Fo-  tummeln sich in den Werken. Viele lassen sich als Spielzeuge oder einer imagi-
           Umrissformen er weiterentwickelt.  In der Serie der Kohlezeichnungen sind vie-  sodann beginnt er langsam und mit kurzen Unterbrechungen, sich in die entgegen-                    kus auf sie zu richten oder Ereignisse im Hintergrund näher zu betrachten, während  nierten Märchenwelt zugehörig beschreiben. Ergänzt wird die kindlich konnotierte
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           le Doppelungen, Spiegelungen und Gegensätze eingearbeitet. Der Offenheitsan-  setzte Richtung zu bewegen. Ein dynamisches Hin und Her entsteht.  (Abb. S. X–X,                     der perspektivische Aufbau einen Sog nach innen erzeugt.                  Aufladung durch ein Pin-up im knappen Bodysuit, einem Mädchen mit unter dem
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           spruch einer Serie ermöglicht diese reziproken Bedingungen zu multiplizieren und  Zeichnungen aus dem Video Abb. S. X–X.) Ohne Ton und mit unregelmäßigem Blick-                                                                                             Kinn geknüpftem Kopftuch und einer Figur mit Zylinder sowie Engelsflügeln am
           die Werke unter wechselnden Blickwinkeln zu betrachten.                  kontakt interagiert der Künstler mit der Kamera. Im weiteren Verlauf des Videos                           Auf bis zu 250 x 344 cm dehnen sich die Werke aus. Folmer verwendet Sperrholz-  Rücken, die den Anschein macht, sich zu erleichtern. Präsent gesellt sich zu dieser
                                                                                    zeichnet Folmer auch auf am Boden liegende Papiere, hängt Blätter zurück an die                           platten von acht Millimetern Dicke. Die großen Formate setzen sich aus vier Ein-  illustren Runde ein verschmitzt schmunzelndes Schwein mit typisch idealisiertem
           Folmers künstlerischer Prozess offenbart eine Zeitlichkeit: „Das Hervorbringen  Wand, um sie zu überarbeiten, zeichnet Liniennetze und figürliche Ansätze, nutzt                   zelplatten zusammen. Die Platten sind doppelseitig in schwarz lackiert, um eine  Ringelschwänzchen. Doch die variablen Kombinationen all dieser Wesen und Spiel-
           von Bildern folgt einem inneren Handlungsimpuls, ist konzept- und absichtslos.  seinen Körper für Umrisse oder unterbricht das Zeichnen für pantomimische Ein-                     Verwerfung des Holzes zu verhindern. Einige sind auf beiden Seiten bearbeitet und  figuren und die daraus resultierenden Interaktionen sind alles andere als harm-
           Das Reflektieren folgt im Anschluss – dazu ist Abstand notwendig. Ich nenne es  lagen. Momente des Sehens und Nicht-Sehens wechseln sich ab, nicht immer ist                       ermöglichen so verschiedene Präsentationsformen. Auch die hellen Platten lackiert  los. Weder unbeschwert spielende Kinder, noch banale Alltagssituationen oder
           ein ‚Nach-Denken‘.“  Einige seiner Zeichnungen entstehen in situ , womit auch die  die Zeichnung vollständig sichtbar. Es geht nicht um das Abschließen, es geht um                Wolfgang Folmer beidseitig mit Parkettlack und trägt dabei bis zu acht Schichten  erzählende Pop Art zeigen die 2018 entstandenen Vektorgrafiken, eine aus über
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           räumliche Auseinandersetzung Teil der Kompositionen wird: Die Motive aus dem  den Prozess.                                                                                         auf. Um die Linien in Schwarz zu gestalten, füllt er die vertieft geschnittenen Linien  100 Werken bestehende Serie (Abb. S. X–X). Jede der Grafiken ist bedacht zusam-
           Sakralraum Kirche wirken einerseits entkontextualisiert, andererseits ist ihre                                                                                                     mit schwarzem Holzkitt, schleift die Oberfläche und lackiert erneut – pragmatisch  mengesetzt und ermöglicht eine jeweilige Neubewertung der gezeigten Situation:
           architektonische Einbettung sowie liturgische Funktion eindeutig nachvollzieh-                                                                                                     ähnelt das Ausfüllen der Linien dem Verfugen von Fliesen; künstlerisch gespro-  Hier hat das Motorrad das kindliche Spiel schon gewaltsam unterbrochen, dort rast
           bar (Bodman, Kohlezeichnungen, 2022). Die zu erwartende Ruhe und Idylle in den                                                                                                     chen ähnelt der Vorgang dem Einfärben und Auswischen einer Tiefdruckplatte.  es jeden Moment in die hockende Figur hinein. In seiner eigentlichen Funktion als




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